von Anna Maria Bernhardt
Bernhardt: Herr de Paruta, welchen Beruf geben Sie an, wenn Sie im Hotel einchecken?
Paruta: Das hängt ganz davon ab, in welcher Funktion ich mich dort aufhalte. Beim Finanzamt werde ich als Kunst- und Kulturschaffender geführt.
Bernhardt: Einen Namen haben Sie sich als Hörfunk- und Fernsehmoderator des Bayerischen Rundfunks gemacht, haben Musikshows im ZDF präsentiert und sind heute als Autor, Texter, Komponist, Regisseur, Musik- und Bühnenproduzent tätig, haben ein Buch über Rhetorik und Körpersprache herausgebracht und veranstalten mit Ihrer Konzertdirektion edp seit vielen Jahren Weihnachtstourneen. Sie sind Mitglied des Bayerischen Journalistenverbandes, Ehrenkommissar der Bayerischen Bereitschaftspolizei, Sodale der Marianischen Männerkongregation - und der Goldene Trichter wurde Ihnen auch verliehen. Fehlt noch was?
Paruta: Ja, der Rentner! Der bin ich zumindest auf dem Papier. In meinem Leben hat sich alles so ergeben. Nichts von all dem war geplant oder angepeilt. Ich habe eigentlich ein angeborenes Phlegma und mache am liebsten nichts. Aber ich bin offen für Neues und das ist mein Verhängnis.
Bernhardt: Würden Sie sich denn als vielseitig bezeichnen oder als multiple Persönlichkeit?
Paruta: Ich hoffe, dass es noch nicht pathologisch ist! (lacht). Wenn man hierzulande als Kreativer kein Schmalspur-Spezialist ist, wird man kritisch beäugt. In anderen Ländern ist Vielseitigkeit die Voraussetzung für eine dauerhafte Karriere.
Clown wäre mein Lieblingsberuf.
Du bringst alle zum Lachen und keiner kennt dein Gesicht.
Bernhardt: Als Erzähler der HEILIGEN NACHT stellen Sie viele unterschiedliche Charaktere dar. Welche Figur liegt Ihnen am meisten?
Paruta: Die des Beobachters, des hinterkünftigen Erzählers, der alle Figuren der HEILIGEN NACHT aus sich heraus entwickelt und sie wie Marionetten führt. Mich blitzschnell in sie zu verwandeln, deren Haltung und Sprache anzunehmen, entwickelt ein gewisses Suchtpotential.
Stimme, Mimik, Gestik - mehr Gepäck brauch ich nicht.
Bernhardt: Und was macht Enrico de Paruta am liebsten?
Paruta: 90 Prozent meiner Tätigkeit besteht ja aus Organisationskram. Was ich allein beim Hinterhertelefonieren an Lebenszeit verloren habe, reduziert mich auf das Alter eines Halbwüchsigen. Produzent und Veranstalter bin ich nur geworden, um meine Ziele verwirklichen zu können. Auf der Bühne stehe ich am liebsten. Da hab ich meine Ruh, kann auftanken, Menschen Freude bereiten, sie zum Lachen bringen, rühren und ihnen den Spiegel vorhalten - wie ein Hofnarr.
Bernhardt: Sie hatten bereits zwei Jahrzehnte die HEILIGE NACHT vorgetragen, bis der Schub nach vorne kam. Wie kam es dazu?
Paruta: Als Hörfunk- und Fernsehmoderator waren die Sendestudios über zwei Jahrzehnte mein zu Hause. Die Dauerbindung an den Bayerischen Rundfunk war auch der Grund, warum ich nie längere Zeit ins Engagement gehen konnte. Literarische Soloprogramme wie DER KLEINE PRINZ, ERICH KÄSTNER: EIN MANN GIBT AUSKUNFT und eben die HEILIGE NACHT waren willkommende Momente, ein Publikum direkt anzusprechen. Das sprach sich rum. Als 1993 Gustl Bayrhammer verstorben war, hatte mir eine Frankfurter Konzertdirektion angeboten, sein Alpenländisches Adventssingen im Herkulessal der Münchner Residenz zu übernehmen. Kaum war dies zwei Jahre erfolgreich geschehen, sollte auch schon wieder damit Schluss sein. Die Konzertdirektion machte aus Altersgründen zu. Was blieb mir anderes übrig, als selbst Veranstalter zu werden. Zum Glück hatte ich keine Ahnung, was da alles auf mich zukommt.
Heilige Nacht in Augsburg, 1983
Bernhardt: Was ist so schlimm am Veranstalten?
Paruta: Es verkürzt die Lebenserwartung ungemein. (lacht) Es war nie mein Lebensplan, unternehmerische Verantwortung und das damit verbundene Risiko zu tragen. Aber ich konnte immer schon gut abschauen, in der Schule wie im richtigen Leben. 1994 hatte ich von einer der größten Tourneeagenturen Deutschlands eine eigene Weihnachtstournee angeboten zu bekommen. Hello Concerts aus Augsburg hatte Haindling, Spider Murphy, Münchner Freiheit und Relax unter Vertrag. Ich war mit der HEILIGEN NACHT der Exot im Portfolio der beiden Chefs Walter Czermak und Lothar Schlessmann. Über zehn Jahre konnte ich unter den Fittichen der beiden Vollprofis wunderbare Weihnachtstourneen erleben, bekam Einblicke ins Management und vorallem Zutrauen und eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit den vielschichtigen Aufgaben. Dafür bin ich heute noch sehr dankbar.
Bernhardt: Und wie wurden Sie Produzent?
Paruta: 1987 wurde ich für eine Benefizaufführung zu Gunsten der Mukoviszidosehilfe angefragt. So lernte ich deren Initiatorin Christiane Herzog kennen, in der Veranstaltung dann Prof. Roman Herzog. Kurze Zeit später war das Ehepaar Gast meiner HEILIGEN NACHT in der kleinen Kirche von Wallgau. Damals war Herzog Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Als absoluter Thoma Kenner hatte Herzog Zugang zum Thoma Archiv. Ein Jahr später übergab er mir ein umfangreiches Manuskript, das er selbst verfasst hatte, eine HEILIGE NACHT FÜR KINDER. Darin waren Erklärungen zum Werk und dem Dialekt enthalten, verbunden mit dem Gedanken, die Weihnachtslegende künftigen Generationen zu öffnen. Eine faszinierende Idee!
Für die ZDF Live-Produktion Heilige Nacht in Dießen musste ich mir 180 Kameraeinstellungen merken. 1995 ging das noch.
Bernhardt: Haben Sie das Herzog Manuskript umgesetzt?
Paruta: Als 1994 Herzog Bundespräsident war, initiierte er eine jährliche TV-Weihnachtsfeier, um mit Bürgerinnen und Bürgern in Ost und West gemeinsam das Fest zu begehen. Als gläubiger Christ wollte er der Fernsehnation die Vielfalt deutscher Weihnachtskultur aufzeigen und den Ursprung christlichen Glaubens, die Geburt Christi näherbringen. Von seinem Heimatland Bayern sollte die Pilotsendung kommen. Als er mich fragte, ob ich das Werk fernsehgerecht umsetzen und produzieren könnte, mußte ich erst mal schlucken. Und dann krempelte ich die Ärmel hoch. Der BR hatte kein Interesse und kein Geld. Unter der Vorausssetzung einer Anfinanzierung der Produktionskosten im unteren sechsstelligen Bereich konnte sich aber das ZDF eine Produktion vorstellen. Also machte ich mich auf den Weg, diese gewaltige Summe aufzutreiben. Nach einigen Fehlschlägen stand das Sponsoring durch den Bayerischen Sparkassenverband. Von nun kam Fahrt auf, von nun an war ich Produzent.
Bernhardt: Mußten Sie nicht Gefahr laufen, sich zu übernehmen?
Ich bin Teamplayer und habe mir immer kompetente Mitarbeiter ins Boot geholt. Ein Chefkoch kocht ja auch nicht allein. Für die Textgestaltung des Herzog Konzeptes konnte ich den Thoma Spezialisten Franz Seitz gewinnen. Mein langjähriger Kollege Eduard Baumgartner, ein erfahrener Live-Regisseur, übernahm die Fernsehregie. Und TV-Star Carolin Reiber erklärte in kindergerechten Zwischenszenen die Inhalte des Werkes. Ehe ich mich versah war ich Hauptdarsteller, künstlerischer Leiter und Produzent einer Fernsehproduktion, die zwei Wochen lang die gesamte Ammersee-Region in Beschlag nahm. Mich kann ja so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Während der Live-Aufzeichnung vor allen Ehrengästen stockte mir allerdings doch der Atem, als ein Kamerakran bei einem Schwenk das Käppchen von Kardinal Wetter vom Kopf schob. Der Protokollschef des Bundespräsidialamtes war mehr als entsetzt. Seine Eminenz nahm es dagegen gelassen und hat mich mit der HEILIGEN NACHT in den Münchner Liebfrauendom eingeladen. Da waren wir dann auch ein Jahr später.
Heilige Nacht im Münchner Dom, 1996
Bernhardt: Im vergangenen Jahr hätten Sie ihr 45-jähriges Bühnenjubiläum mit der HEILIGEN NACHT begangen, wäre die Weihnachtstournee nicht Corona zum Opfer gefallen. Wird es Ihnen nicht leid, immer das selbe Werk auf die Bühne zu bringen?
Paruta: Im Gegenteil! Ich kenne keine Weihnachtserzählung, die in sich so geschlossen, so wunderschön und so vielseitig interpretierbar ist wie die HEILIGE NACHT. Sie war mir Lebensbegleiter, Entwicklungshelfer und Retter in der Not. Ich bin an diesem Werk gewachsen und finde immer wieder neue Aspekte menschlicher Grundmuster und im wahrsten Sinne des Wortes Anhaltspunkte. Ludwig Thoma hat da etwas Einzigartiges geschaffen, das als bayerische Hochkultur noch Generationen faszinieren wird. Ich kenne kein weihnachtliches Werk, das so ein Wechselbad an Gefühlen auslösen kann. Kurz vor der Rührseligkeit setzt der Autor jedesmal einen Bruch durch eine kleine Pointe. Je intensiver ich mich mit den Versen auseinandergesetzt habe, desto spannender wurde mir das Spiel, die beste Nuancierung in Sprache und Ausdruck zu finden.
Bernhardt: Ist der Erzähler Ihre Lebensrolle?
Paruta: Ja, ich glaube schon. Das Werk hat allerdings mich gefunden. Ich war ja gerade zwanzig, als mir die HEILIGE NACHT als Übungstext von meiner Sprecherzieherin Edeltraud Mertel auferlegt wurde. Als ich zum ersten Mal in dem Büchlein blätterte, dachte ich noch: Oh je, lauter Verse! Ein Jahr lang haben wir uns mit dem Text beschäftigt. Umso größer war die Enttäuschung, als ich beim ersten öffentlichen Lesen - das war in einem Altersheim - die Senioren in den Schlaf gesprochen hatte. Mir war klar, dass ich eine andere Form des Vortrages wählen musste. Ich musste den Text spielen, den Erzähler zum Zeitzeugen der Handlung machen. Stellt Euch vor, was mir gerade passiert ist! Diese Haltung, der freie, engagierte Vortrag passte zu mir. Das Auswendiglernen dauerte dann nochmal ein Jahr. Ich bin Frau Mertel heute noch unendlich dankbar, dass sie mir den Zugang zu dem Werk eröffnet hat. In der Presse hatte sie alles verfolgt und die Auschnitte fein säuberlich gesammelt. Und als ich sie zum letzten Mal wenige Wochen vor ihrem Tod besuchte, übergab sie mir die Mappe und meinte verschmitzt: Da wird noch viel dazu kommen bis Sie so alt sind wie ich!
Bernhardt: Der 100. Todestag von Ludwig Thoma löste erneut heftige Diskussionen um die historische Einordnung seiner Person und Werke aus. Sind Sie ein Thoma-Fan?
Paruta: Nein, ich bin kein Fan der Persson Thoma. Ich distanziere mich in aller Deutlichkeit von ihm und habe durchaus meine Probleme, seine Werke von der persönlichen Haltung des Autors zu trennen und unvorbelastet auf mich wirken zu lassen. Thomas Kolumnen im Miesbacher Anzeiger sind als Hetzartikel einzuordnen. Aus unserer heutigen Sicht sind sie untragbar. Ich habe sie mir einmal angetan und konnte es nicht fassen, dass ein und der selbe Mensch eine tief bewegende HEILIGE NACHT und gleichzeitig diese Hasstiraden verfassen kann. Da hilft auch kein Suchen nach einer Erklärung, der einst erfolgreiche Satiriker sei bereits krank gewesen, kriegsgeschädigt und in Einsamkeit verbittert. Ich sehe durchaus Paralellen zum zwiespältigen Handeln mancher Zeitgenossen, die gutbürgerlich vor sich hin leben und dann in der Geborgenheit der Anonymität Hass- und Morddrohungen im Internet posten. Thoma hat vor mehr als hundert Jahren nichts anders getan. Unter verschiedenen Pseudonymen verfasste er seine Artikel für die Lokalzeitung. Der weit über Bayerns Grenzen hinaus bekannte und beliebte Heimatdichter wiegte sich offensichtlich in Sicherheit unentdeckt zu bleiben. Thoma hat sich mit diesen durch nichts zu rechtfertigenden Pamphleten selbst vom Sockel des Bauerndichters gestoßen.
Bernhardt: Wie gehen Sie damit in Ihrer Inszenierung um?
Paruta: Thoma schnitzt sich seine literarische Krippe aus einer bodenständigen Gläubigkeit heraus. Da wird er Kind, sentimental, voller Zuversicht und Hoffnung auf das Gute, Göttliche. Sozialkritisch stellt er hartherzige Reiche den hilfsbereiten Armen gegenüber. Thomas Schwarz-weiß-Malerei bekommt in unserer Inszenierung beim klassischen Thema der Herbergssuche allerdings einige Brüche. Im Weihnachtsfestspiel ist es die Bürgerschaft, die einerseits ihre vorgefasste Meinung zu Fremden hat, dann aber als erste an der Krippe steht und das göttliche Kind verehrt. Dieser versöhnliche, weihnachtliche Gedanke prägt unser Finale. Nur die ewig Gestrigen, Josias und die Base, bleiben unverbesserlich und bekommen vom Wunder der HEILIGEN NACHT nichts mit.
Bernhardt: Hat die HEILIGE NACHT wegen ihres Autors nicht an Zauber verloren?
Paruta: Sie ist und bleibt die schönste, in unsere Bergwelt, Sprache und Mentalität übertragene Weihnachtsgeschichte frei nach dem Evangelisten Lukas. Wer sich auf sie einläßt, wird schnell in ihren Bann gezogen. Und dann ist in unserer Festspielfassung ja auch noch die Musik, die den Text trägt und verstärkt. Wir sind bereits vor vielen Jahren in die Klassik eingetaucht, weil sie in ihrer Tiefe emotional und berührend ist. Ich habe mich sehr früh bereits dafür entschieden, mit Musik von Mozart, Schubert und Haydn völlig neue Akzente in der HEILIGEN NACHT zu setzen. Und heute haben wir Komponisten wie Franck, Molino, Giuliani, Bach und Händel neben symphonischer Volksmusik, Weltmusik und klassischen Weihnachtsliedern im Programm. Das geht natürlich nur, wenn hochprofessionelle Künstler sie virtuos interpretieren. Die richtige Wahl eines Mitwirkenden ist dann getroffen, wenn seine Bandbreite stimmt, die Emotionalität glaubwürdig ist und rüberkommt. Wir sind in der glücklichen Lage, ein großes Ensemble herausragender Künstler aus Oper, Konzert, Schauspiel und Instrumentalmusik zu engagieren. Auch die Kindersoprane der Engelsstimmen sind eine besonders talentierte Truppe.
Engelsstimmen, München 2018
Bernhardt: Sie fördern seit Jahren junge Nachwuchskünstler. Ist das Marketing oder innerer Auftrag?
Paruta: In unserem langjährigen Förderprojekt der Engelsstimmen steckt viel Arbeit, Zeit, Geld und Herzblut. Schauen Sie sich in den Schulen um, in den Musikschulen und Chören. Da wächst ein großes Potential an wunderbaren, musikalisch hochbegabten Kindern und Jugendlichen heran, dass es eine Freude ist. Vielfach fehlt es aber an praktischer Bühnenerfahrung. Vor Publikum mit Profis auftreten zu können, sich in solistischen Rollen auszuprobieren und dann stehende Ovationen zu ernten, das spornt zur Höchstleistung an. Wir bieten dieses Forum. Während andere am Wochenende an der Spielkonsole zocken, kommen diese Kinder in unsere Workshops und Proben, bereiten sich auf ihre Auftritte vor. Wir behandeln sie nicht als Schüler, sondern als Kollegen. Und in diesem Klima reift so manches Talent, wird frei und entfaltet sich. Das sind Erfahrungen fürs Leben. Was mich am meisten berührt, wenn Kinder über Jahre bleiben oder nach dem Stimmwechsel als Jugendliche wieder zu uns zurückkommen. Dass die Saat so aufgeht, hätte ich mir nicht zu träumen gewagt. Als Kind eines nicht musikalischen Elternhauses hatten sich mir diese Möglichkeiten nicht erschlossen. Mit ein Grund, warum ich die Kindersoprane der Engelsstimmen zusammen mit meiner langjährigen Kollegin und Förderin Carolin Reiber ins Leben gerufen habe. 2004 fand der erste Gesangswettbewerb für bayerische Schulkinder im Rahmen des Nachwuchsförderpreises musica Bavariae statt. Das war uns ein Fest!
Anna Maria Bernhardt
copyright edp Media München 2021
Zwei Jahre fielen die Vorstellungen durch Corona bedingte Aufführungsverbote aus. 2022 war es dann endlich wieder soweit. Das WEIHNACHTSFESTSPIEL HEILIGE NACHT wurde mit großem Erfolg in Regensburg, Ingolstadt und München aufgeführt und erstrahlte in neuem Glanz mit stehenden Ovationen und lang anhaltendem Applaus. 2023 setzt sich die Serie fort. Zur Festspielfassung und der Kammerspielfassung gesellt sich die Singspielfassung, die erstmals aufgeführt wird.